Von jeher war der Glaube an die Unheimlichkeit der Mittagsstunde, die mit der der Mitternachtsstunde durchaus vergleich- bar ist, tief im Volk verwurzelt. die Alten glaubten nämlich, dass dem Wanderer in der Natur und dem Arbeiter auf dem Felde in der sengenden Glut dieser Tageszeit etwas Erschreckendes oder Scheußliches, zugleich aber auch Herrliches, sichtbar oder unsichtbar, begegnen kann. Auch uns ist heute noch bewusst, dass diese magische Stunde den Verstand umnebeln, zumindest aber körperliche und seelische Beschwerden wie Erschöpfung, Fieber und Kopfschmerzen verursachen kann.
In heißen Sommern, in der Mittagsstunde zwischen 12 und 2 Uhr, geht oft ein hoch gewachsenes, in weiße Gewänder ge- kleidetes, weibliches Wesen mit erhobener Sichel über die Felder. Es ist die Mittags- oder Sichelfrau, die wohl verwandt oder gar identisch mit der die Felder segnenden Kornmuhme ist, hier aber ihr anderes, dunkles Gesicht zeigt. Denen, die in dieser mystischen Stunde nicht schlafend ruhen wollen oder dürfen, erscheint sie drohend und gebietet ihnen hart, die Arbeit einzustellen. War aber der Himmel trübe oder ein Gewitter im Anzug, so war man vor ihr sicher.
Wer sie überrascht erblickt und die Augen nicht sofort demütig niederschlägt, denn der Mensch darf das Göttliche nicht mit seinen Augen schauen, dem legt sie die Sichel an den Hals und stellt ihm allerlei Fragen zur Arbeit auf dem Felde. Kann die- ser ihre Fragen nicht beantworten, so tötet sie ihn mit ihrer Sichel, erwürgt ihn oder verwandelt ihn in Stein. Zumindest belegt sie mit Krankheiten, die heftige Kopfschmerzen zur Folge haben. Daher kam auch die Redensart:
"Du fragst wie die Mittagsfrau"
und wer ohne dringende Not zu dieser Stunde auf dem Felde arbeitete, den fragte man:
" fürchtest Du nicht, dass die Mittagsfrau auf Dich kommen wird ? "
So erging es auch einst einer klugen Magd, die das Mittagsläuten überhörte und weiter fleißig in der Ernte arbeitete. Ihr er- schien die Mittagsfrau ganz plötzlich mit erhobener Sichel. Sehr erschrocken, aber auch geschickt die Augen senkend, sprang die Magd schnell zur Seite und gab der Herrin dieser S tunde zu verstehen, dass sie keine Angst vor ihr hätte. Die Mittagsfrau schätzte Menschen, die furchtlos waren und wollte der Magd
das Leben unter der Bedingung schenken, das sie ihr eine Stunde lang etwas über den Flachs und seine Ernte erzählenmüsse. Unerschrocken schwallte die Magd lang und breit über alles, was sie zu diesem Thema wusste und nannte die Mittagsfrau zwischendurch im- mer wieder "meine liebe Muhme". So verging die böse Stunde schnell und erzürnt schimpfend: - "Nur der Teufel hat Dir den Verstand gege- ben" - zog die Mittagsfrau schnell von dannen, ohne der Magd ein Leid zu tun. Wäre die Magd nicht so beherzt gewesen, so hätte ihr der Geist den Kopf abgeschnitten.
Ein anderes mal lag ein junges Bauernmädchen um die Mittagsstunde im Gras und schlief, während ihr Bräutigam neben ihr saß und darüber grübelte, o b er sie wohl wegen einer anderen Schöne loswerden könnte. Daraufhin erschien die Mittagsfrau dem Burschen sehr erbost und be- drängte ihn mit ihren Fragen. Aber soviel er auch antworten mochte, sie stellte immer neue Fragen bis nach einer Stunde eine Glocke schlug. Da sankt er tot zur Seite, weil sie ihn zu Tode gefragt hatte. Als das Mäd- chen die Augen öffnete und den Bräutigam entseelt dort liegen sah, be- grub sie ihn weinend und trug lange Trauer, denn sie hatte nicht begrif- fen, dass die Mittagsfrau ihn nur getötet hatte, weil er ihre Liebe nicht verdiente. --------------------------------------------------------------------------------------------------------
Wir wollen daher in der Mittagsfrau nicht das dämonisch Böse sehen, das den Menschen, der einsam in der Hitze der som- merlichen Mittagszeit arbeitet, in panischen Schrecken versetzt und sein Leben bedroht, sondern eher die ihn beschützende Kornmuhmeoder Roggenmutter oder gar die Erdmutter, die die Felder segnet und dafür sorgt, dass der Mensch selbst -auch gut gedeihen kann:
w e n n er sich dem GESETZ der IHR gehörenden MITTAGSSTUNDE beugt !
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