aus der Chronik des Heinrich von Herford von anno 1349 [1]
....................................................................................................................................................................................... Im anderen Jahr des Königs Karl [Kaiser Karl IV.] [2] ist in Zierenberg, einer Stadt des Landgrafen von Hessen, ein Gespenst erschienen: eine kleine Menschenhand, weich und zart, kam zum Vorschein und ließ sich anfassen, wohl tausend Menschen haben sie berührt und geschüttelt. Weiter sah man von dem Geiste nichts, aber seine Stimme, rau wie die eines Mannes, ließ sich vernehmen. Wer bist Du?", so fragte man ihn. – "Ein Mensch, so wie ihr; ein Christ bin ich gleich Euch und in Göttingen getauft." – "Wie heißt Du denn?" – Da sprach er: "Reyneke." – "Und bist Du allein?" – "Nein! Wir sind ein großes Volk." – "Was treibt ihr denn?" – "Wir essen und trinken, heiraten, vermählen Söhne und Töchter, säen und ernten, alles gerade, wie ihr." – "Und wo wohnt ihr?" – "Wir wohnen in dem Kirchberg, der hier bei Zierenberg liegt, doch in der Stadt halten wir uns oft bei diesem braven Manne, unserem Gastfreund auf. – Ja, aller Orten wohnen sie in Menge, mein Stamm ist fein und zart, jene aber sind Tölpel, richten allerlei Unheil an und wühlen in der Erde." – "Können denn noch andere außer Dir hier im Hause Herberge finden?" – "Das wollen wir nicht haben, unser Wirt soll nicht noch mehr belästigt werden. Es ist schon ge- nug, dass er uns so freundlich aufnimmt, doch mag er Leute aus seiner Freundschaft wohl beherbergen." – -----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Nun waren einige, die wollten das gern einmal dasdas versuchen, ob- wohl der Mann ihnen abriet. Da sie ihm aber keine Ruhe ließen,s o wur- de für sie in einem großen Faße ein Lager gemacht. Da erhob sich in der Nacht ein großes Poltern im Hause, zu mal über ihrem Kopf, sie schrien und wären aus dem Faße gewesen. Endlich erscholl die Stimme Reyne- kes: "Seht, das kommt von Eurem Vorwitz, aber seit guten Muts, sie wollen Euch jetzt wohl in Ruhe las- sen!" – Dann setzte er sich oben auf das Faß und hat noch lange mit ihnen gesprochen. - Die Stadt ZIERENBERG anno 1646 [Kupferstich von Matthäus Merian] ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Einst ist ganz unvermutet ein Verwandter jenes Mannes in das Haus zu Besuch gekommen; da war dieser betrübt, weil er nichts hatte, ihn zu bewirten. Als dies der Geist sah, sprach er: "Das lasse Dich nicht kümmern, dafür will ich schon sorgen. " Alsbald erschien ein prächtiger Tisch, mit allem wohl versehen; da gab’s Weizenbrot, Wein und Bier, gekochtes und gebra- tenes Fleisch, auch Wildbret, und Reyneke ließ den Gastfreund wacker zulangen. –
Die alte Mutter des Wirts hat der Geist sehr gehasst, er sagte immer: "Das ist ein böses Weib!". Die Hausmagd Styneken dagegen, eine junge Dirne, war ihm sehr wert. Als einmal der Knappe Hermann von Schartenberg, ein besonderer Freund Rey-nekes, dem Mädchen einen Apfel geschenkt, da ist der Geist zornig geworden und hat gesagt: "Das tust Du mir nicht wieder!" – "Ich habe ihr ja nur einen Apfel geschenkt", entschuldigte sich der Knappe. – "Jawohl, aber Du hattest auch noch anderes im Sinn!" – Einen anderen seiner Günstlinge hat der Geist dann dahin gebracht, Styneken zur Frau zu neh- men, und ihm dabei versprochen, dass er ihn unendlich reich machen wollte. –
Einmal war einer mit seinen Gesellen in der Schenke, da hat er sich verschworen: "Den Reyneke will ich noch durch die Hand stechen", und so ging er in jenes Haus und rief: "Bist Du da Reyneke?" – "Ich bin allerwegen," erscholl die Stimme. – " Dann zeige einmal Deine Hand her!" – "Dich selbst will ich zeigen, Du schlechter Lümmel und Verräter, pack Dich fort!" rief der Geist zornig, denn er wusste von dem Schwur des Mannes. Dieser sprach: "Ich will Dir meine Hand zeigen!" – Kaum aber hatte er sie ausgestreckt, so stach sie der Geist durch mit dem Eisen. –
Reyneke hat auch einst mit dem Knappen Hermann von Schartenberg[3] geplaudert, denn den hatte er sehr gern; als so die Zeit verging,sprach der Geist plötzlich: - "Nun muss ich zur Hochzeit meiner Tochter, die geb‘ ich einem braven Jungen zur Frau, der heißt Estryan, gleich wird das Fest anfangen." Und so verschwand er. –
Einer hat sich einmal Erbsenstroh vom Felde geholt und aus den Schoten gegessen. Zu dem sprach Reyneke "Du, gib mir von Deinen Erbsen, meine Tochter trägt Verlangen danach." – Darauf hat sie ihm der Mann willig gegeben. Auch acht Tage darauf hat sich Reyneke noch mehr Erbsen geholt und sich recht sehr dafür bedankt. –
Als Haldessen, das Mainzische Schloss [zwischen den Städten Grebenstein und Hofgeismar] vom Landgrafen von Hessen berannt worden ist [4] hat Reyneke sich oft vernehmen lassen: "Bald muss sich das Haus ergeben, schon haben sie nichts mehr zu essen; im ganzen Schlosse sind nur acht beherzte Männer, die anderen taugen alle nichts!" –
Auch hat er erzählt, dass die Hessen einen Mann im Schloss durch einen Wurf getötet hätten; das haben die vor Haldessen selbst nicht gewusst. Sein Freund Hermann von Schartenberg[5] sprach einst zu ihm: "Du, Reyneke, weshalb bist Du mit Deinen Leuten nicht in Haldessen? Da gibt’s viel, was Euch auch angeht!" Der Geist antwortete: "Ich bin so gut wie Du bei der Belagerung mit gewesen." – "Wie bist Du so schnell wiedergekommen?" – "Oh" sagte Reyneke, "auf dem Mülleresel, der vor Euch herging". – "Nun", sagte Hermann, "der hat tüchtige Schläge bekommen; wie bist Du denen denn entgangen, wenn Du oben auf dem Esel saßest?" – " Wenn er Hiebe bekam", sprach da Reyneke, "bin ich schnell herunter gerutscht und habe mich auf die Seite gemacht!" -
Quelle: Hederich: Zierenberg in Geschichte und Gegenwart, 1962. ..................................................................................................................................................................................... 1] Heinrich von Herford, Dominikanermönch in Westfalen, + am 9. Oktober 1370: "Liber de rebus memorabilioribus sive Chronicon Henrici de Hervordia", [edidit A. Potthast, Göttingen 1859]. 2] Karl IV. aus dem Hause Luxemburg, dt. König 1346 – 1364, röm.-dt. Kaiser 1364 – 1378 ? 3] Hermann VII. von Schartenberg, + am 27. Dezember 1382 als letzter seines Hauses. Seine Witwe Lucia von Schachten verstarb 1395 auf der Schartenburg. Ihr Testament blieb erhalten. 4] in der Zeit 1346 – 1350. 5] am 22. Mai 1354 übergibt der Erzbischof Gerlach von Mainz dem Ritter Stephan IX. von Schartenberg [Vetter Hermanns VII.] die Mainzische Burg Haldessen bei Grebenstein.