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                                                           I. Die  WEIßE FRAU  von  WILHELMSTHAL

Vor etwa 150 Jahren wurde von dem  Schriftsteller Jodokus Temme 1]  aus Zürich eine Erzählung geschrieben,  die heute kein
Mensch  mehr  besitzt,  geschweige  denn überhaupt  noch kennt.  An der Geschichte ist  historisch nur  wenig war.  Sie hieß
"Zur linken Hand"  und beruhte wohl auf  einer zu  seiner Zeit erzählten Legende.  Neben Nordhessens  berühmtem  Rokoko-
schloss Wilhelmsthal in Calden,  das Schauplatz dieser traurigen Geschichte gewesen sein soll,  stand das  "Kaffee Linden-
thal
",  in dem heute das Schloßhotel untergebracht ist. Der Name leitete sich nicht,  wie man vielleicht denken mag,  von den
                                                      alten Lindenbäumen an der Straße davor oder von der sogenanten Rasenalle [Straße von
  Schloss Wilhmelsthal nach Kassel zum Schloss Wilhelmshöhe] her,  sondern ging di-
  rekt auf diese ehedem sehr bekannt Geschichte zurück.

  Der Erbprinz Wilhelm, ab 1785 Wilhelm IX. letzter regierender Landgraf zu Hessen-Cas-
  sel und ab 1803 als Wilhelm I. erster Kurfürst von Kurhessen,  lernte einst in Haynau in
  Schlesien die Apothekerstochter Rebekka Rittberg kennen. Er musste wohl heftig um
  sie geworben haben, denn sie verließ wegen ihm den Grafen Canitz 2],  ihren Verlobten
  und wurde Wilhelm  als  Baronin von Lindenthal  3]  zur linken Hand angetraut.Diese
  Ehe  war so z warrechtskräftig vor  Staat und  Kirche geschlossen,  galt aber als  nicht
  standesgemäß. Damit war ihr ein Leben an seiner Seite in der Residenz zu Cassel ver-
  sagt und man wies ihr das damals noch sehr neue Lustschloß Wilhelmsthal als Wohn-
  sitz zu.

  In Schlesien  aber konnte der  Graf Kanitz  die Verlobte nicht vergessen  und folgte ihr
  nach  Hessen.  Rebekka war  ihm noch  immer sehr  gewogen und  beide  planten ihre
  Flucht  nach  Schlesien zurück.  Zur  Stunde ihrer  Flucht hatte  aber ein  Unwetter die
                                                      Straßen aufgeweicht,  so dass sie mit dem Reisewagen nur schlecht voran kamen.  Die
Dragoner des Langrafen folgten ihnen  und fingen sie an der Diemel wieder ein.  Den Grafen schonte man  und verwies ihn nur
des Landes,  die Baronin  aber hatte man zum  Schafott verurteilt.  Im Keller des  Schlosses Wilhelmsthal  wurde sie mit dem Schwert heimlich hingerichtet.
Die Menschen in den Dörfern rund um  Wilhelmsthal  erzählten sich bald,  daß die
tote Baronin in ihrem  Grabe keine Ruhe finden könne und  nachts als  weiße Frau
wimmernd  durch die schönen,  heute unbewohnten  Räume des  Schlosses  irren
würde.  Immer auf der  Suche nach ihren beiden Kindern,  die sie vom  Landgrafen
hatte und die sie bei ihrer Flucht zurück  gelassen hatte.  Spätere  Bewohner  und 
Besucher des Schlosses wollen sie des Nachts in den Kellergewölben tatsächlich
in ihrem blutbefleckten weißen Kleide gesehen haben, das siebei ihrer Hinrichtung
getragen hatte.
                                                                                                                                                                                                                   
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[nach Justus Schüler + , Hauptlehrer an  der Volksschule zu Calden.In:Jahrbuch des Kreises Hofgeismar für 1952]
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                                                                     Anmerkungen des Autors:
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1] Jodokus Donatus Hubertus Temme,  * 22.10.1798 Lette bei Oelde/Westfalen,  + 14.11.1881 Zürich; preuß. Kriminaldirek-
   tor, aus  politischen Gründen  1852 mit seiner Familie in die  Schweiz ausgewandert;  veröffentlichte unter dem Pseudonym
   Heinrich Stahl  zahllose Romane  und Erzählungen. Darunter  "Zur linken Hand";  Bibliothek für  Haus und Reise  Berlin
  1871: Bd. von Jahrgang 1874.
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2] Wilhelm Graf von Canitz und Dalwitz,  1763 Hofjunker, dann Oberstleutnant Garde du Corps,  1784 Reisemarschall und
   und am 17.11.1786 in Cassel zum  Hof-Marschall des regierenden Landgrafen Wilhelm IX. bestallt;  fiel in fürstliche Ungna-
   de, weil er sich wegen  "eines Liebschafts-Eingriffs bei der Mätresse Lindenthal schuldig"  machte, d.h. er spannte dem
   Landgrafen die Favoritin aus; wurde sofort des Amtes enthoben und des Landes verwiesen;  hielt sich mehrfach verboten in
   Cassel auf und wurde am 4.7.1792 verhaftet und auf der Festung Spangenberg interniert,  kam aber auf Intervention König
   Friedrich-Wilhelm II. von Preußen  nach einer Woche wieder frei.  Der Fall wurde vor dem Reichskammergericht verhandelt.
   Seine Kinder lebten noch im 19. Jh. in Cassel  [Quelle:
Arbeits- und Lebenswelten ... ]
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                                                       II. Die Sage von der WEIßEN FRAU vom SCHARTENBERG
Vor langer Zeit,  an einem strahlend schönen Frühlingsmorgen - beim kleinen Städtchen Zierenberg im alten Hessengau - hü-
tete ein junger Schäfer seine Heerde am Hange des hohen  Schartenberges,  auf dem noch heute die uralte und ganz zerfal-
                                                                         lene Ruine des Doppel-Schloßes SCHARTENBERG des im Namen sehr früh
   erloschenen Geschlechtes der  Herrn  und  Ritter von Schartenberge steht.
   Eben noch dachte er, im Grase liegend,  an seine bittere  Armut und an all die
   herrlichen Schätze,  die von alters her  tief im Schartenberge  verborgen liegen
   sollten, als eine schöne ganz in weiß gewandete Jungfrau aus dem Gebüsch
   zu ihm trat, ihn freundlich lächelnd aufforderte, mit ihr in den Berg zu gehen.

   Der Hirte ließ sich nicht lange nötigen, brach auf ihr Gebot eine schöne Blume
   aus dem Grase,  die er vorher  gar nicht  bemerkt hatte, u nd sogleich tat sich
   ein Tor im Hang des Berges auf. Große Haufen von Silber, Gold und  Edelstei-
   nen sah er darinnen herrlich glänzen,  und die  Jungfrau  gab ihm einen Wink,
   davon zu nehmen, so viel ihm doch belieben möchte.

  Mit gieriger Hast fiel er sodann über die Goldhaufen her, füllte seine Taschen mit
dem edelen Metall und funkelden Gestein.  Eben wollte er sich glücklich und ganz  freudetrunken von von diesem Ort der Wun-
der rasch entfernen.  Doch als er seinen  Fuß ins Freie setzte,  fiel hinter ihm das  Tor im Schartenberg  geräuschvoll donnernd
und mit  Krachen wieder zu.  Verschwunden war die  freundlich  schöne  weiße  Jungfrau  und auch die  gülden schimmernden
Schatzhaufen waren nicht mehr zu sehen. Auch seine Taschen waren wieder leer. Genau so wie zuvor, denn ach!  - 

er hatte nicht beachtet, daß die schöne Wunderblume ihm im Berg entfallen war. Er hatte diese schöne Wundergabe beim Zu-
sammenraffen all der blinckenden Schätze sofort vergessen und drinnen liegen lassen. so war sein Reichtum genau so schnell
zerronnen, wie er ihn gewonnen hatte.

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 [Carl Lynker: Deutsche Sagen und Sitten in hessischen Gauen; Cassel: Wiegand, 1860. In: Jahrbuch des Kreises Hofgeis-
 mar für 1952]

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                                                        ©  Copyright 2005-2008 by Reinhard Germeroth
                                                                              Stand: 15.02.2006 
                                                                                                                                                                                         
                                                                               

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